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The Cuckoo Syndrome

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Ended
Kunstraum Niederoesterreich, 20.9.2012 – 6.10.2012
Herrengasse 13, 1010 Wien

Information

Design parasitärer Produktionsprozesse 

So bekannt uns sein herzerwärmender Ruf aus dem Wald ist, so moralisch zweifelhaft ist sein Ruf als Brutparasit. Als  Kuckuck-Syndrom versteht man Formen parasitärer Produktionssysteme, die durch die Vereinnahmung eines Ortes, dem Nest, in diesem Fall der Galerie und deren temporärer Umnützung entstehen. Ein Teil der in der Ausstellung gezeigten Projekte benutzt den Kunstraum Niederoesterreich als autonome Produktionsstätte. Entgegen den üblichen Regeln des Industriedesigns, das sich den produktiven wie ökonomischen Gesetzmäßigkeiten des Markts zumeist unterordnet, entwerfen parasitäre DesignerInnen keine 'Produkte' mehr. Vielmehr schaffen sie Freiräume, in denen der Benutzer selbst produktiv werden kann. Das Parasitäre will uns nicht erziehen oder überzeugen. Es dringt vielmehr unter die Haut des rationalen Denkens und infiziert es mit der Idee des Wandels; mit der Möglichkeit, etwas Starres in Bewegung zu bringen.

Contributors

Kuration

Contributions

Martí Guixé

In seiner Arbeit "Hidromel Factory", die in der Ausstellung gezeigt und verwendet wird, hat Martí Guixé ein Dispositiv zur Herstellung von Met, also Honigwein, geschaffen. In Form einer an alchemistische Versuchsanordnungen erinnernden Installation benützt er den Galerieraum als Produktionsstätte und Freihandelszone für ein in Vergessenheit geratenes alkoholisches Getränk, das bereits 3500 Jahre vor unserer Zeitrechnung bekannt war. In bewusst parasitärer Weise nutzt er die mythologisch-narrative Kodierung von Met als Opfer und Trank der Götter ohne visuell direkt darauf hinzuweisen. Als zweite Arbeit von Guixé wird "Bee Roaming" in der Ausstellung gezeigt. Es handelt sich um einen transportablen Bienenstock, der es ermöglicht bestimmte lokale Spezies von Blüten, Gräsern oder Getreidesorten durch die Arbeit der Bienen einzufangen um sie dann als Geschmacksnoten und Düfte im Honig selbst zu speichern, ähnlich der Methode des romantischen Landschaftsmalers im Freien, der versucht sinnliche Eindrücke der Natur mit Pinsel, Farbe und Leinwand einzufangen und so in ein kulturelles Produkt zu verwandeln.

Mischer’Traxler

Auch hier wird Produktivität von den ökonomischen Gesetzmäßigkeiten des "Time-to-Market" ausgelagert und in ein anderes, viel langsameres System gebracht, dem des natürlichen Stoffwechsels und des Klimas. Eine temporär in der Landschaft installierte "Maschine", betrieben durch einen Sonnenkollektor, produziert je nach Wetter und Licht ein zylinderförmiges Objekt aus einem gefärbten Baumwollfaden, der im Verlauf der Herstellung durch Tischlerleim gezogen, auf einer zylinderförmigen Achse aufgespult und nach dem Trocknen und Abnehmen zu einem nutzbaren Sitzobjekt wird. Jedes einzelne Stück, das so entsteht sieht farblich wie strukturell anders aus. Je nachdem wie die Sonneneinstrahlung war, wickelt sich der Faden langsam oder schneller auf den Zylinder und verändert durch die Geschwindigkeit auch seine Farbgebung. Der Wachstumsprozess des dabei entstehenden Objekts erinnert an die Dynamik eines wachsenden Baums durch dessen Ringe im Stamm bestimmte meteorologische Situationen in seinem Leben gespeichert sind und für immer dort abgelesen werden können. Irgendwie ist man auch an die Einzigartigkeit des menschlichen Fingerabdrucks erinnert.

Curro Claret

Die Arbeiten von Curro Claret beschäftigen sich mit Produktionsformen, die in Zusammenarbeit mit sozialen Hilfsprojekten entstehen. In seinem Projekt Taburete 300 gibt Claret Menschen in Not die Möglichkeit mit einem einzigen zentralen Metallteil und aus wiederverwendeten Füßen und Platten ausrangierter Möbel eine Vielzahl von Hockern, Tischen, Leuchten einfach und kostenfrei zu produzieren. Das parasitäre Phänomen, das in diesem Projekt auftritt ist die Verbindung einerseits der Ästhetik eines “Designobjekts” als systematische Montage ausgewählter, alter Möbelteile, wie oftmals im Avantgardedesign der 1990er bereits praktiziert wurde, und andererseits der reale menschliche Hintergrund einer sozialen Institution, die den Betroffenen durch die Produktion und den Verkauf dieser Objekte in der Kunstgalerie ein kleines finanzielles Einkommen bieten können. Clarets zweites Projekt in der Ausstellung, nimmt Bezug auf die, aus dem Mittelalter stammende Tradition der katholischen Kirche Vertriebene, Pilger und Heimatlose vorübergehend im Kirchengebäude aufzunehmen und übernachten zu lassen. Dafür entwickelte Curro Claret eine zu einem Liegebett umfunktionierbare Kirchenbank. Auf den ersten Blick wirkt die Idee ironisch, aber gleichzeitig ist sie doch ganz direkt und ehrlich gemeint.

Andreas Strauss

Eine andere mittelalterliche Tradition, auf die sich der oberösterreichische Designer Andreas Strauss in seiner Arbeit bezieht, ist die des kollektiven Badens. Die Badehäuser als soziales Zentrum sind in den orientalischen Ländern stets offen und zugängig geblieben, das Hammam genauso wie die traditionellen japanischen Bäder. Für Strauss entsprechen diese traditionellen Modelle in keinster Weise der konsumorientierten Wellnesskultur. Das "soziale Baden" bedeutet eher ein Ritual, eine Zelebration des alltäglichen Lebens ohne Firlefanz. Die freie Zusammenkunft von Familie und Freunden in einer entspannten aber auch respektierenden Athmosphäre. Strauss nistet temporär eine große hölzerne Badewanne für sechs Personen mit getrennter Reinigungseinheit und zirkulierendem Warmwasserkreislauf in die Räumlichkeiten der Galerie ein. Sein Projekt "Hotpot" entspricht der parasitären Idee temporärer Umkodierung definierter Bereiche, wie hier die Kunstgalerie, die zum Badehaus mutiert. Die freie Benutzung wird an bestimmten Tagen unter Einhaltung der Baderegeln in der Galerie ermöglicht.

Santiago Cirugeda

Die parasitären Strategien des spanischen Architekten Santiago Cirugeda zielen nicht auf die Fremdnutzung der Galerie sondern auf den gesamten umliegenden innerstädtischen Bereich. Cirugedas Projekte bewegen sich in gesetzlichen Leerräume, wie beispielsweise das Projekt "Andamios", bei dem er einen temporären Unterschlupf für Obdachlose und mittellose Einwanderer erdachte indem er ganz legal eine Erlaubnis für die Aufstellung eines Baugerüsts bei der Stadtgemeinde in Sevilla einholte um dann darauf eine überdachte Notunterkunft zu bauen, die vom anliegenden Zimmer des eingerüsteten Hauses aus zugänglich war. In ähnlicher Weise nutzt Cirugeda den öffentlichen Raum im Projekt "Kuva S.C.", das Cirugeda nach Sevilla auch in Wien zeigt: Eine Genehmigung für die Aufstellung einer Bauschuttmulde wird eingeholt. Statt der üblichen Nutzung, baut Cirugeda darauf eine Plattform mit einer alten spanischen Kinderschaukel. Mehr als zur direkten Nutzung stellt das Projekt eine Forderung nach mehr Spielplätzen und sozialen Begegnungsräumen für die lokale Bevölkerung. Cirugeda liefert keine fertigen Bauprojekte, sondern entwickelt vielmehr "urbane Rezepte", die von jedem Interessierten ohne architektonische Vorbildung ausgeführt und verbreitet werden können. Auch hier wird der subversive Aspekt des Parasitären deutlich erkennbar. (Uli Marchsteiner)

Pieke Bergmans

In der Arbeit "Crystal Virus" zeigt die niederländische Designerin Pieke Bergmans Möbelobjekte, die von einer glühend brennenden, flüssigen Glasblase erfasst und entfunktionalisiert wurden. Es geht bei diesem Projekt um ein "Treffen" zwischen den traditionellen Blastechniken der alten königlichen Glasmanufaktur in Leerdam und seiner zweckentfremdenden Verwendung als parasitär-invasives Material in Bergmans Arbeiten. Bei diesem Treffen direkt am Ort der Herstellung lud sie interessierte Menschen ein, ein persönliches Möbelstück mitzubringen und durch einen sich darauf einbrennenden Glastropfen “infizieren” zu lassen. Ein symbolisches Brandzeichen, das die sinnliche Faszination von Glas und seiner kunsthandwerklichen Fertigung zeigt und uns wegführt von der Virtualität der Bildschirme und globaler Vernetzung. Wir erkennen hier ein neu erwachtes Interesse an der physisch-sinnlichen Qualität analoger Materialien und Objekten. Ihr Virus Projekt fand große Aufmerksamkeit und Bergmans "infizierte" in der Folge eine ganze Kollektion von Möbelobjekten aus Perlmutt und auch einige moderne Designklassiker der Firma Vitra.

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